Alle in einem Boot

Nicht nur ein Sprichwort, sondern gelebte Realität: Der Segler-Verein Wakenitz e.V. hat sein integratives Segelangebot erweitert und mithilfe der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung die "RS Venture" angeschafft. Seit diesem August können Menschen mit und ohne Handicap ihrer Leidenschaft gemeinsam nachgehen.

Bei der Frage, wann sie erstmals die Idee gehabt habe, ein integratives Segelprojekt anzubieten, muss Dorothee Nuthmann nicht lange überlegen – zu präsent sind die Erinnerungen, die ihr noch immer ein Lächeln ins Gesicht zaubern: „Im Jahr 2014 habe ich an einem Symposium über das therapeutische Segeln teilgenommen und war sofort Feuer und Flamme. Ich durfte zusammen mit einem Patienten aufs Wasser, der an Parkinson erkrankt war und konnte kaum fassen, wie positiv sich unser gemeinsamer Segeltörn auf ihn auswirkte. Seine Laune, sein Gleichgewichtssinn und seine Koordination verbesserten sich praktisch von Minute zu Minute. Auf dem Rückweg von Plau am See nach Lübeck wusste ich: Das will ich auch ermöglichen!“

Das Integrative Segeln begeistert
Gesagt, getan. Innerhalb kürzester Zeit gelang es der leidenschaftlichen Seglerin, ein Team von fünf Gleichgesinnten um sich zu versammeln, das seit nunmehr vier Jahren mit dem "Integrativen Segeln" ein Projekt beim Segler-Verein Wakenitz anbietet, das sich stetig wachsender Beliebtheit erfreut. Dieses außergewöhnliche Angebot richtet sich speziell an Menschen mit Handicap, die auch einmal die Faszination aus Geschwindigkeit, Meer und Wellen erleben wollen. Möglich wurde dies bislang mit zwei Jollen des Typs 2.4 mR, einer ganz speziellen Bootsklasse, die unkenterbar ist und auch bei den Paralympischen Spielen zum Einsatz kommt. Das Besondere: Die Jollen verfügen über Lenkvorrichtungen, die per Fußpedal oder per Handsteuergerät zu bedienen sind. Von der Handsteuerung profitieren beim SV Wakenitz beispielsweise zwei Segler, die nach Unfällen schwer gehbehindert sind beziehungsweise im Rollstuhl sitzen. Beide sind sehr froh darüber, dass sie ihre Leidenschaft nicht aufgeben mussten.

Dass sich die Anschaffung der zwei kostspieligen Einmann-Boote gelohnt hat, steht außer Frage. „Die Rückmeldungen der Menschen sind phänomenal“, erzählt Nuthmann. „Neben den gehandicapten Freizeitseglern kommen jeden Mittwoch sechs bis acht Krebspatienten aus dem Ameos Reha Klinikum Ratzeburg zu uns, die oftmals schwere Operationen hinter sich haben. Gut 95 Prozent von ihnen sind noch nie zuvor gesegelt, sodass der Respekt und die Angst vor dem neuen Medium entsprechend groß sind. Aber wenn die Patienten dann nach dreißig Minuten zurückkommen, strahlen sie über das ganze Gesicht und wollen am liebsten gleich wieder aufs Wasser!“ Die Menschen würden merken, dass sie „ja doch was können“ und der Krebs „nicht das Ende“ sei, so Nuthmann weiter. „Auf dem Wasser zählen eben ganz andere Dinge als die eigene Krankheit.“

Die „RS Venture“ als letztes Puzzleteil
Doch bei all der Euphorie blieb ein Problem bestehen: Die angeschafften Boote eigneten sich ausschließlich für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Wie aber sollte man Menschen mit geistiger Behinderung die gleiche Freude zuteil werden lassen? Hier kam die „RS Venture“ (Bild re.) ins Spiel, die von der Gemeinnützigen Sparkassenstiftung mitfinanziert und im August geliefert wurde. Auch dieser Bootstyp ist kenterstabil, zeichnet sich aber insbesondere dadurch aus, dass er über zwei feste Sitze verfügt und mit fünf Personen gleichzeitig gesegelt werden kann. „Somit können geistig eingeschränkte Menschen in Stresssituationen von einem erfahrenen Segelcoach angeleitet werden und sind nicht auf sich allein gestellt. Gleichzeitig erleben aber auch sie die uneingeschränkte Freiheit aus Wind und Wellen“, fasst Nuthmann zusammen. Und hier zeige sich dann auch die grundlegende Idee des Integrativen Segelns: „Ziel ist es, auf Augenhöhe miteinander zu segeln. Ganz gleich, ob nun eingeschränkt oder nicht: Die Faszination ‚Segeln‘ wird gemeinsam auf einem Boot ausgelebt.“

Dass das ganz wunderbar funktioniert, haben die letzten Wochen bewiesen. Nuthmann weiß von einem jungen Mädchen mit geistiger Behinderung zu berichten, das zusammen mit zwei anderen Kindern und einem Segeltrainer auf der „RS Venture“ gesegelt ist. Das Mädchen habe per ‚Joystick‘ die Pinne gesteuert, die Kinder hätten die Leinen bedient und der Segeltrainer habe sichergestellt, dass der Kurs gehalten werde – alle „im selben Boot“, ein einmaliges Erlebnis. Das ansonsten sehr schüchterne Mädchen sei nach 45 Minuten vom Wasser zurückgekommen, habe sich in einen Stuhl gesetzt und anschließend nicht mehr aufgehört zu reden. „Der kurze Segeltrip war wie eine Befreiung für sie“, weiß Nuthmann. Und genau solche Momente soll die „RS Venture“ nun regelmäßig ermöglichen: Neben dem regulären Segelbetrieb ist für nächstes Jahr sogar eine Regatta geplant, bei der ‚Mixed Teams‘ aus eingeschränkten und nicht eingeschränkten Menschen gemeinsam auf dem Ratzeburger See segeln werden. Wir wünschen eine tolle Veranstaltung!