Über Lübeck nach Tokio

Steuerfrau Larina Hillemann blickt mit ihren erst 24 Jahren schon auf eine steile Karriere zurück: Weltmeisterin im Juniorinnen-Achter, WM-Teilnahme mit dem Deutschen Frauenachter und schließlich EM-Silber 2020. Im Interview spricht die TEAM LÜBECK-Athletin über ihre speziellen Aufgaben im Boot, die besondere Verbindung zu ihrem Heimatverein und die Hoffnung auf Olympia.

Larina, als Steuerfrau bekleidest du die außergewöhnlichste Position im Ruderboot…

„Ja, das kann man wohl so sagen. Wir Steuerleute müssen vor jedem Rennen ein Mindestgewicht von 55 kg erreichen, damit nicht einfach kleine Kinder ins Boot gesetzt werden, die der Verantwortung noch nicht gewachsen sind. Zusätzlich darf man als Steuerfrau keine Angst davor haben, älteren und oft auch erfahreneren Athleten Anweisungen zu geben. Die Sportler:innen schauen ja quasi in die falsche Richtung und bekommen somit nicht mit, was um sie herum passiert. Ich bin also die Einzige, die sich im Rennen einen Überblick über die Rennsituation verschaffen und somit auch Entscheidungen über mögliche Spurts treffen kann. In gewisser Weise bin ich also das Gehirn des Boots.“

Obwohl du mittlerweile in Dortmund wohnst, gehst du noch immer für die Lübecker Ruder-Gesellschaft an den Start. Warum diese starke Verbindung?

„Ursprünglich komme ich aus Geesthacht. Ende 2014 habe ich den Sprung nach Lübeck gewagt, da die LRG den Leistungssport extrem gut unterstützt und ich als Steuerfrau darauf angewiesen bin, starke Sportler:innen um mich herum zu haben. Von meinem Trainer Björn Lötsch lerne ich immer wieder wahnsinnig viel. Mich begeistern die vielen netten Kontakte, die ich bislang innerhalb des Vereins geknüpft habe. Der Vorstand und die Mitglieder unterstützen mich voll und ganz auf meinem Weg in Richtung Olympia und zeigen Verständnis dafür, dass ich aktuell nur selten vor Ort bin. Nach meiner Karriere würde ich aber gerne wieder mehr Präsenz zeigen und meine Erfahrungen an den Nachwuchs weitergeben.“

Am Bundesstützpunkt Potsdam bereitest du dich momentan auf die Olympiaqualifikation vor. Wie hoch ist dein Trainingspensum?

„Pro Tag sitze ich ca. vier Stunden auf dem Steuerplatz und verbringe eine weitere Stunde mit der Vor- und Nachbereitung der Einheit. Darüber hinaus halte ich mich auch körperlich fit: Kraft- und Ausdauertraining nehmen täglich ein bis zwei Stunden in Anspruch. Beim Krafttraining liegt mein Fokus insbesondere auf der Oberkörperstabilität, um eine möglichst stabile Position im Boot halten zu können. Wenn es sich dann noch ergibt, schnappe ich mir meinen Einer und drehe eine Runde auf der Havel.“

Macht sich der große Aufwand denn auch finanziell bezahlt?

„Leider nein. Wir sind gerade dabei, uns als Team zu vermarkten. Allerdings stecken wir hier noch in den Startlöchern. Da wurde in den letzten Jahren einfach sehr viel versäumt, was es jetzt aufzuarbeiten gilt. Umso mehr freut mich die TEAM LÜBECK-Förderung, die für mich eine große finanzielle Entlastung bedeutet. Momentan muss ich zwei Wohnungen und zusätzlich die ständigen Fahrten zwischen Dortmund und Potsdam bezahlen. Das könnte ich mir ohne Unterstützung einfach nicht leisten. Coronabedingt fallen aktuell zumindest die Fahrten an meinen Studienort Bochum weg.“

Dein großes Ziel ist die Olympiateilnahme 2021. Wie stehen die Chancen?

„Ich hoffe, dass im Mai unsere Qualifikationsregatta in Luzern stattfinden kann. Dort müssen wir mindestens Zweite werden, um uns für die Sommerspiele in Tokio zu qualifizieren. Sollte das nicht klappen, lautet mein Ziel Olympia 2024 in Paris. Bis dahin werde ich voll durchziehen.“

Vielen Dank für das Interview, Larina!

Fotos: © Yannick Schurwanz